27/02/2023
Eine vielgebrauchte Metapher für persönliche Entwicklung ist die Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt. Dieser Vorgang ist jedoch nicht so einfach wie dargestellt, sondern ungeheuer komplex. Denn jede einzelne Raupenzelle muss sich in eine Schmetterlingszelle verwandeln. Dafür braucht es eine Menge Energie, und ohne den permanenten evolutionären Druck nach Verwandlung passiert ebendies nicht. Die Raupe muss da durch, sie hat keine Wahl, und alles in ihr will es auch.
Nach meiner Ansicht müssen die allermeisten Menschen eben nicht «da» durch, weil sie noch nicht dafür reif sind. So wundern sie sich eher über die, die allerhand ungewöhnliche Dinge fürs eigene Wachstum tun, scheinbar ganz auf sich selbst bezogen sind, viel Zeit und Geld investieren, um sich Unterstützung für die «Entpuppung» zu holen. Weil sie eben da durch müssen, auch wenn es das Ende des gewohnten Lebens ist – auch wenn es Angst macht.
Neben allerhand Verhaltens- und Denkgewohnheiten ist es diese Angst, die uns davor zurückhält, unsere wahre Grösse zu leben, uns Flügel wachsen zu lassen. Inwieweit wir ihr nachgeben, ist eine Entscheidung, auch eine Frage der Gesundheit unserer Psyche und wie wir uns auf die Sprünge helfen (lassen).
Eine Zeitlang können wir uns gegen den «Schmetterling» in uns entscheiden; und das Leben lässt uns erstmal in Ruhe. Doch irgendwann kommt der evolutionäre Druck wieder, als unwiderstehlicher Ruf zum Abenteuer oder in Form von Ereignissen, die uns die Aussenwelt aufzunötigen scheint.
Letztlich gibt es nur noch ein Vorwärts, wenn es an der Zeit ist, dass sich das Inbild des Schmetterlings manifestiert. Im Gegensatz zum Menschen gibt sich das Tier dem Vorgang bedingungslos hin, weil es keine andere Wahl hat. Es kennt die mannigfaltigen Ablenkungen, Ängste und Hirngespinste nicht, mit denen sich die Menschen von sich selbst abtrennen. Das ist unsere Herausforderung: bei uns bleiben bzw. immer wieder zurückfinden, die innere Stimme hören, den Impulsen folgen, die unser Wesen, unsere Individualität uns schickt und die uns in unsere wahre Grösse hineinwachsen lassen.
Das geht nicht ohne Wachstumsschmerzen, nicht ohne dass es auch mal eng wird, so wie auch die Geburt kein Spaziergang war. Es braucht Entscheidungen, die von der Aussenwelt nicht verstanden werden können, die auch deren Ärger erregen. Damit gilt es zu sein, das innere Schwert zu halten, nicht gegen andere, sondern für sich, die Lebendigkeit und die Liebe.