01/12/2022
Die Auseinandersetzung zwischen aufgesetzter Persönlichkeit und Individualität kann zuweilen innerlich recht kriegerisch sein, ohne dass irgendjemand im Aussen davon was mitbekommen muss. Wie kann Schwertarbeit dabei helfen, zu unterscheiden und zur Essenz zu kommen?
Ich sehe es so, dass ein authentischer Mensch aus seiner Persönlichkeit herausgekommen ist. Für mich ist die Persönlichkeit die Identität, die uns von der Gesellschaft gegeben wird. Individualität dagegen ist das, was uns die Natur gegeben hat. Individualität ist existenziell, Persönlichkeit sozial und aufgesetzt.
Als so definierte Persönlichkeit zu leben, kann daher kaum authentisch sein, denn was wir in diesem Fall sind, ist nur geliehen – und die Individualität darunter verborgen, weil uns die Gesellschaft konform will, nicht als natürliches, freies und ergo spontanes und auch rebellisches Wesen. Die wahre Kraft, die Essenz bleibt unterdrückt.
Wenn die Persönlichkeit ein Schwert führt, dann ist es eher ein Herumfuchteln, denn es fehlt noch die Verbindung zur eigenen Erdmitte, dem Hara, und oft auch mit dem Herzen. Die Schwertarbeit heisst auch deshalb initiatisch, weil sie das Tor öffnet zum Wesen, zur Individualität, zum eigentlichen Ich, durch das Welt-Ich hindurch. Das geht über den Körper, das feine Spüren und das bewusste Aktivieren und Bündeln der Lebensenergie. Dadurch wird eine Kraft frei, die nach Ausgestaltung und Verwirklichung verlangt und damit das bisherige Dasein in Frage stellen kann.
Innerlich kann es dabei «kriegerisch» zugehen, wenn ein Teil am überkommenen Gewohnten festhalten will, während sich etwas Neues, Weiteres, Ganzeres vom Herzen her Raum nimmt. Hier ist es hilfreich, zu erkennen, wo im Körper der Widerstand sitzt, nämlich meistens in den mentalen Modellen der Persönlichkeit. Das Schwert in die Hand zu nehmen, verbindet mich dagegen mit dem Körper, dem Herzen, der hintergründigen Präsenz, und plötzlich kommt damit auch die Klarheit. Die angemessene Entscheidung wird leichter, die Umsetzung scheint vielleicht schwer, ist aber nicht unmöglich. Schon von seiner Symbolik her verleiht das Schwert nicht zuletzt Souveränität und Mut.
Ich erlebe gerade längere Gruppen in Schwertarbeit auch deshalb so wertvoll, weil Menschen sich gegenseitig in ihrem Prozess der Individualisierung über eine gewisse Zeit unterstützen, miteinander üben, sich berühren und – so jedenfalls die Einladung – „schonungslose“ Rückmeldungen von Herzen geben, sich gegenseitig hören und verstehen, aber auch herausfordern. Wenn einer von seinen inneren Kämpfen erzählt, so gibt es immer mehrere, die das ebenfalls gut kennen. Ich verantstalte keine spirituellen Wellness-Gruppen, sondern bevorzuge nüchternes, energetisches Arbeiten, das auf Ehrlichkeit und Einlassen setzt, so gut es eben gerade geht. Wohlgefühl entsteht nicht durch Streicheln der Persönlichkeit, sondern durch Berühren der individuellen Tiefe und oft auch durch Erfahren der anstrengungslosen und doch unwiderstehlichen Kraft aus dem Unterbauch.